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ES PASSIERT NUR ETWAS,
WENN MAN SICH AUF DEN WEG BEGIBT

Dass die Bitte um ein Stück über den berühmten Franz Boas, den für die Ethnologie so wichtigen Begründer der wissenschaftlichen Methode der „teilnehmenden Beobachtung“, gerade an den Kutenhauser Bernd Gieseking – Jahrgang 1958 und damit im nächsten Jahr selbst Jubilar - ging, hat natürlich verschiedene Gründe. Zum einen hat Gieseking als Autor verschiedener Theaterstücke (u.a. „Breitenauer Wände“, 1996, für das Staatstheater Kassel), Opern-Libretti und Hörspiele seine Fähigkeit, Stoffe dramatisch aufzuarbeiten, hinlänglich unter Beweis gestellt. Zum anderen jedoch hat der Autor gerade das Thema Franz Boas und dessen Forschungsreise zu den Inuit, den Eskimos auf dem kanadischen Baffin Island, die dieser zusammen mit seinem Diener Wilhelm Weike aus Häverstädt im Jahre 1883 unternahm, schon zur 1200 Jahr-Feier der Stadt Minden im Jahre 1998 zu einem Hör-Stück verarbeitet.

„Ich wollte Franz Boas und Wilhelm Weike nebeneinander stellen, den Wissenschaftler und den Proletarier, nicht nur ihre Beobachtungen. Auch und gerade ihre Gedanken, Hoffnungen, Sorgen, Nöte, ihre Glücksmomente, den Wandel von Sichtweisen, ihr Leben in einer zumindest anfangs völlig fremden Welt möchte ich versuchen, nachvollziehbar zu machen, einen Eindruck dessen vermitteln, wie es gewesen sein könnte. Mich interessieren, neben der Faszination Arktis und der Menschen in dieser Welt, gerade auch innere Prozesse der beiden Reisenden.“

Was Bernd Gieseking über diese beiden gewichtigen Gründe hinaus für seine Arbeit an dem Theaterstück prädestiniert, ist seine Begeisterungsfähigkeit für das Thema, das von ihm sowohl spannend wie unterhaltsam dargestellt wird und das er in gewissen Aspekten, z.B. im Binnenverhältnis zwischen Diener und Herr oder im Liebestagebuch für Boas´ Verlobte, in rührenden und bewegenden Bildern skizziert. Im Gespräch mit dem Autor an dessen Dortmunder Domizil – vorerst letzte Station nach Kutenhausen, Kassel und Köln – entfaltet er für die Geschichte eine unvermutete Leidenschaft mit einer Kraft, die etwas von der Kraft erahnen lässt, die Boas bei seiner Expedition umgetrieben haben muss.
Über seine Konzeption sagt der Autor:

„ Mich interessiert besonders die Zeit der beiden Männer im Miteinander der Arktis, ihr Erleben und ihre Erlebnisse. Es ist wochenlang ungewiss, ob sie überhaupt anlanden können und ihr Schiff kreuzt vor dem Packeis.
Die erste Begegnung mit den Inuit ist besonders für Boas fast schockierend. Ein Ereignis verhindert beinah alle Arbeiten: Viele Inuit sind infiziert mit von Walfängern eingeschleppten Krankheiten und sie geben Boas, der helfen will - und wohl „Doktor“, aber einer der Geisteswissenschaften ist - die Schuld, wenn jemand nach seiner Behandlung verstirbt.
Die Reisenden verirren sich im Eis und finden erst nach einer 24stündigen Wanderung halb erfroren die nächste Inuit-Siedlung. Weike erfriert sich dabei die Füße und Boas lässt ihn, von Ehrgeiz und Sorge um die Forschungsreise getrieben, bei den Inuit zurück. Weike gelingt es, anfangs auch ohne sprachliche Mittel, mit den Inuit in Kommunikation zu treten.
Sein (wissenschaftliches) Tagebuch ist für Boas ein wichtiges Element der Kommunikation. Darüber hinaus schreibt er seiner späteren Frau Marie Krackowizer – der er sich kurz vor Antritt der Reise erklärt hat - ein berührendes Liebestagebuch aus dem Eis.“

Drei Akte wird das Stück umfassen. Der erste dient als Exposition und wird den jeweiligen gesellschaftlichen Hintergrund der beiden Protagonisten aufzeigen. Und er wird Marie einführen und die aus der Begegnung mit Boas entstehende Liebe. Der zweite Akt führt eine neue Figur ein, den Schotten James Mutch, der auf Baffin Island den Walfang organisiert, eine Figur, die dem Autor als Katalysator dafür dient, den Prozess des Abbaus von Urteilen und Vorurteilen voranzutreiben. Gleichzeitig dient dieser zentrale Akt dazu, die Reisen und Entdeckungen, die Erlebnisse und Erkenntnisse der beiden Mindener Polarforscher zu schildern und ihre Annäherungen an eine überaus fremde und exotische Kultur zu befördern. Der dritte Akt zeigt das Ehepaar Boas in New York in dem Augenblick, als sie die Nachricht vom Tode Weikes in Berlin erhalten. Dieser Moment dient natürlich der Rückbesinnung und der Reflexion und der Autor kann sich vorstellen, ihn dem Stück voran zu setzen.

Wie immer sich Bernd Gieseking entscheiden wird, er selbst wird noch in diesem Sommer an den Schauplatz des zentralen Geschehens reisen, nach Baffin Island. Er weiß nicht nur von seinen Helden, „dass nur etwas passiert, wenn man sich auf den Weg begibt“. Auch für sich selbst hat er diese Erkenntnis zur Maxime erhoben. Der Weg als das Ziel. Keine schlechte Voraussetzung für das Verfertigen eines dramatischen Stoffes.

Im November jedenfalls soll das Stück dem Verlag vorliegen. Und im nächsten Jahr wird es von den Hamburger Kammerspielen, dem zuverlässigen Kooperationspartner des Mindener Stadttheaters, in Szene gesetzt werden. Wir also werden – pünktlich zu dem Geburtstag unseres Hauses – ein Stück sehen können, das vom Thema, vom Autor, von den Protagonisten und von dem verantwortlichen Haus kaum typischer und reizvoller für unsere Stadt sein kann.

Text von Robert Werther | Theatermagazin Minden

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